Die Ziege war auch in Meckenheim die Kuh des kleinen Mannes. Sie frisst Gras vom Wegrand, gibt Milch, ihr Fleisch ist gefragt, Ziegenfelle können verkauft werden. Und fünf Monate nach der Paarung werfen Ziegen ein bis zwei Junge. Das Protokollbuch des Ziegenzuchtvereins Meckenheim informiert über Ziegenzucht in der Zeit der Inflation.
Ziegenzucht und Inflation
Walter Ruffer besitzt ein seltenes Erbstück: das Protokollbuch des Ziegenzuchtvereins Meckenheim. Sein Urgroßvater war dort Schriftführer. Das Buch hält Sitzungen und Versammlungen fest, von der Vereinsgründung am 1. August 1911 bis zum 23. März 1928. „Zweck und Ziele“ des Vereins „wurden ohne Diskussion einstimmig beschlossen“, heißt es über die von 42 Personen besuchte Gründungsversammlung. „Inzucht bei eigener Bockhaltung“ sei das Problem, heißt es später, „durch den Verband (dem man sich 1912 anschloss) und Genossenschaft wurde die Ziegenzucht in der Milcherzeugung auf einen viel besseren Stand gebracht“. Die Statuten übernahm man von den Mußbachern, das „Eintrittsgeld“ betrug eine Mark. Neben dem Vorsitzenden, Schriftführer, Kassier und Ausschussmitgliedern wurden auch ein Vereinsdiener und ein Bockhalter gewählt. Für die Position des Bockhalters konnten Angebote abgegeben werden. Die Entwicklung der Beiträge und Kosten gibt einen kleinen Einblick, wie sich die Weltwirtschaftskrise in einem Dorf mit 1900 Einwohnern auswirkte.
110 Mitglieder, 195 deckfähige Ziegen
Der Verein wächst. In der Zeit von 1914 bis 1927 hat der Verein zwischen 95 und 110 Mitglieder, 140 bis 195 deckfähige Ziegen sind gemeldet. Das Deckgeld beträgt eine Mark pro Kopf, für Auswärtige 1,50 Mark, der Jahresbeitrag 50 Pfennig. Zwei Böcke stehen in Meckenheim, pro Bock gehen 7 Mark im Monat an den Bockhalter, ein Jahr später 8,25 Mark, plus ein Sack Hafer während der Deckzeit.
Für das Jahr 1921 erhält die Bockhalterin Lisabeth Schmitt bereits 3000 Mark in vier Raten. Am 16. Oktober 1921 bewilligt man ihr „auf nachträgliche Forderung infolge Futtermangel für die Deckperiode 1921/22 zwei Zentner Hafer“. Am 28. März 1922 erhält sie schon 5000 Mark; im August verlangt sie „wegen Teuerung“ 7000 Mark. Offenbar fragt man beim Zuchtverband nach, ob man dem nachkommen soll. Am 20. Oktober „verlangt Frau Schmitt infolge Geldentwertung 10.000 Mark“, die ihr für ein Jahr bewilligt werden. Am 17. Januar 1923 gibt es „infolge der kolossalen Geldentwertung sowie der großen Teuerung der Futterartikel“ einen Teuerungszuschlag von 5000 Mark „unter dem Versprechen, die Böcke bis 31. März weiterzuhalten“. Am 16. März 1923 lehnt Lisabeth Schmitt die Weiterhaltung ab.
60 Millionen Zuschuss von der Gemeinde
Drei Wochen später hat sich noch niemand gemeldet – das Angebot für den Bockhalter wird auf 40.000 Mark erhöht, dazu ergeht eine „Eingabe an den Gemeinderat, die beiden Bleichen zum Futtermachen zu überlassen“. Schließlich ist mit Leonhard Thomas II der neue Bockhalter gefunden – vier Monate später verlangt er monatlich 150.000 Mark „infolge der Teuerung von Futtermitteln“. Der Vorstand erhebt für jede deckfähige Ziege 10.000 Mark, muss im August Verbandsbeiträge in Höhe von 3.400.000 Mark nach Kaiserslautern schicken und ersucht die Gemeinde um Hilfe. Am 22. August geht eine Eingabe an den Gemeinderat um einen der Inflation angepassten Zuschuss, „derselbe war 60 Mark pro Jahr, welches heute 60 Millionen Papiermark wären“.
Dann zählen Naturalien
Schließlich sind es Naturalien, die zählen: Im August 1923 wird „dem Bockhalter sein Antrag von 1 Ltr. Milch pro Tag für das Halten der zwei Ziegenböcke bewilligt“. Beim Gemeinderat beantragt der Verein zusätzlich zum Zuschuss für den Bockhalter, „wie es in anderen Gemeinden üblich ist, eine Wiese und einen Acker“. Für einen im September 1923 in Haßloch gekauften Jungbock will der Besitzer kein Geld, sondern drei Zentner Roggen und einen halben Zentner Weizen. 1924 ist die Inflation vorbei, pro Ziege sind 2,50 Mark zu zahlen, 1926 erhält der Bockhalter 342,50 Mark und für Futterzwecke einen Acker und eine Wiese der Gemeinde. Auch der Alltag schlägt sich in den Protokollen nieder: 1913 wird die „Sprungzeit“ auf „morgens von 6-8, mittags von 11-1, abends von 5-7“ festgelegt, außerdem sollen dabei „die Ziegen nicht von so kleinen Kindern geführt werden“. „Klagen, der vorhandene Bock sei deckfaul“ führen dazu, dass Mitglieder einen Austauschbock des Verbandes in Niederhöchstadt holen müssen. „Gewisse Vermutungen“ werden geäußert, „dass frühere Mitglieder ihre Ziegen zu einem ungekörten Bock führen wollen“. Jemand hat „schriftlich beim 1. Vorstand Hartmann protestiert über den Gestank in der Eichengasse.„
Text: Friedrich Müller