Als vor rund 30 Jahren das 1588 errichtete Fachwerkhaus in der Hauptstraße 50 renoviert wurde, fanden sich auf dem Speicher, mäusesicher im Drahtsieb von der Decke hängend, auch eine Reihe von Aufzeichnungen über die Vorbesitzer des Anwesens.
Doch zunächst gilt es, die Vorgeschichte seines Besitzes etwas zu erhellen. Anfang des 19. Jahrhunderts musste er ein ansehnliches Anwesen gewesen sein. Damals gehörte das „zweystöckige Wohngebäude nebst, Hof, Scheuer, Kelterhaus mit alter Kelter, Schoppen, drey Viehställen und Schweinestalle, hinter der Scheuer ohngefähr 12 Aren Pflantz- und Grasgarten“ dem Philipp Jacob Renner und seiner Ehefrau Barbara Seiberth. Das Ehepaar hatte vier Kinder. Von diesen erhielt 1817 nach dem Tod der Eltern laut Teilungsakte die Tochter Barbara Renner den Hof. Sie war seit 1809 mit Heinrich Glück verheiratet.
„Wer nix erheiert und nix ererbt, bleibt arm, bis er sterbt“ „Nomen est omen“ heißt es so schön. Doch Glück brachte diese eheliche Verbindung – und noch weitere – vor allem dem Gatten. Seine Geschichte ist die Geschichte eines sozialen Aufstiegs im Dorf – zu dem ihm letztlich auch die Frauen verhalfen. Heinrich Glücks Vater Johann Niklaus Glück, ein Küfer aus Dannstadt, hatte1776 bei der Teilung des elterlichen Erbes zwischen insgesamt acht Geschwistern zwei „wergene Tischtücher“, „einen alten und zwei neue zwilchene Säck, einen Wagen, 30 Gebund Spelzenstroh und 2 alte Gäns, dazu 676 Gulden Bargeld“ erhalten. 1781 heiratete er in Meckenheim Maria Elisabetha Schubing. Im Herbst 1784 wurde ihr Sohn Heinrich Glück geboren. Er sollte das einzige Kind der Eheleute bleiben.
Heinrich Glück heiratete 1809 in die Familie Renner ein. Seine Frau Margaretha erbte fünf Jahre später von einer Base 120 ar Feld. 1817, als das Erbe ihrer Eltern aufgeteilt wurde, erhielt sie auch das auf 4675 Gulden geschätzte Elternhaus. Die Eheleute Glück mussten es zwar mit 2000 Gulden belasten, um die Geschwister Margarethas auszuzahlen, doch Heinrich Glück galt schon in jungen Jahren als so geschäftstüchtig, dass die Renner-Erben ihm die Abwicklung der Besitzteilung übertrugen. Zu seinem Schaden wird es nicht gewesen sein. Bald darauf muss er mit seiner Frau in das Anwesen eingezogen sein, denn am 1. März 1818 verkaufte er sein elterliches Haus.
1818 wurde auch das einzige Kind von Heinrich und Margaretha Glück geboren. 1822, vierzehn Tage vor Ostern, starb die junge Mutter. Schon bald darauf wollte Heinrich Glück wieder heiraten und machte Inventur. Seinem Söhnchen sollte im Falle seines Ablebens nichts von dem Erbe verloren gehen. „Die Aufnahme“, heißt es in einem Dokument, geschieht auf Vorzeigung und Angabe von Heinrich Glück, welcher nach dem Tod seiner Ehefrau in Besitz aller zur Verlassenschaft gehörigen Gegenstände geblieben war. Vier Tage dauerte es, den Besitz zu sichten und schriftlich festzuhalten.
Da Gütergemeinschaft bestanden hatte, gehörten Heinrich Glück nun außer Haus und Land ein nußbaumner Tisch, eine alte Kiste, eine Bank, eine Stubenuhr mit Kasten, 4 Stühle, eine Laterne und Kaffeemühle, ein schwarzes wergenes Tischtuch, zwei wergene Handtücher. Im Alkoven dazu unter anderem „ein Bett bestehend aus einer Bettlade mit hohen Stollen ein Deckbett, zwei Pulven und ein Kissen, Unterbett, Strohsack, 1 Käsständerchen, 1 Spiegel.“ In der Magdkammer das Magdbett mit Bettlad, im Hausgang 1 Backmulde, 1 Schnappwaage; in der Küche neben anderen Utensilien 6 zinnerne Teller, 1 alte Bratpfanne und etliche alte Kucheblech, 1 Eisenhafen, zwei eichen Viehkübel, 1 Butterfaß, 1 Breipfännchen, 1 alter Küchenschrank, ohngefähr 130 Pfund oder 64 kg Dörrfleisch.
Auf den Speichern wurden Spelz, Gerste, Weizen und Hafer in großen Mengen gelagert, in Stallung und Scheuer befanden sich neben einem Paar Zugochsen auch vier Kühe, ein Wagen mit Leitern und Zubehör sowie Futter für die Tiere: im Hof zählte man neben landwirtschaftlichen Geräten fünf Gänse, 12 Hühner und einen Hahn.
Jede Menge Stoffe und Margarethas „Leib Geräth“
Die Stube im oberen Stock war mit einem blauen Schrank und einem eichenen Schrank gut ausgestattet. Eine „Tübinger Biebel“ fehlte ebenso wenig wie zwei Gesangbücher und natürlich das Bett, „bestehend in 1 Bettlade mit hohen Stollen Deckbett Unterbett, 2 Pulven mit Zugen, 1 häfenes Leintuch“. Während der blaue Schrank neben „16 Weibshemder (von der Mutter des Witwers)“ eine Vielzahl von noch zu verarbeitenden Stoffen enthielt (jede Elle wurde minutiös vermessen und notiert), barg der eichene Schrank Handtücher, Lein- und Tischtücher, Kissenbezüge und Bettzeug und die „Leib Geräthe“ der Verstorbenen.
Sie hatte besessen: 14 Weibshemder, 2 paar Weibsschuhe, 4 paar Strümpf, 5 Mützger, 2 ditto kattunene, 1 schwarz tüchener Rock und Mützgen, 1 Serviette, 2 Leibcher, 2 Schnür Leibcher und 2 Taschen, 2 kattunene Röcke, 6 baumwollen zeugene und hausgemachte Röcke, 5 Zughauben und 1 Unterhauben, 6 Hauben von der Mutter des Wittwers, 2 Halstücher von derselben, 3 weise Halstücher,
2 seidene Halstücher, 1 kattunenes Halstuch, 2 farbige und ein schwarztaffetner Schurz, 1 kattunener Schurz, 1 seidnes Halstuch, 2 kleine weise, 1 Koller, 1 Nebelkappe, 1 weises Schürzchen.
Daneben listete der Notar gemeinsam mit Heinrich Glück auch 29 Schuldner auf, darunter 27 Meckenheimer Bürger, an die der geschäftstüchtige Mann, inzwischen 39 Jahre alt, Geld verliehen hatte.
Als Heinrich Glück 1823 der 21-jährigen „Jungfer Catharina Margaretha Platt“ die Hand fürs Leben reichte, gehörte gemäß Ehevertrag „alles bewegliche und unbewegliche Vermögen, Aktiva und Passiva, die in die Ehe mitgebracht werden, sowie Erbschaft, Schenkung etc. nicht in die Vermögensgemeinschaft ihrer Ehe, sondern dem Erben o.ä.“. Zwei Wochen vor dem Abschluss des Ehevertrags kaufte Heinrich Glück auch sein Elternhaus zurück.
Das Inventar wurde „genau und sorgfältig durchgegangen“, mit der Auflistung des Inventars nach dem Tode der ersten Ehefrau verglichen und dabei festgestellt, dass „von dem darinn inventirten Vermögen blos folgende Gegenstände nicht mehr in Natura vorhanden sind, als namentlich“ das Dörrfleisch, das Garn, der gehechelte Hanf, Korn, Spelz, Gerst, Weizen, Hafer, das Paar Zugochsen. Es fehlten neben Futter- und Streustroh auch Wein, Kartoffeln und „eine der Gänse“. Dafür besaß Heinrich Glück aber inzwischen zwei Pferde.
Im Falle seines Ablebens, so beschied Heinrich Glück großzügig, sollte seine Witwe das Recht haben, in dem – sicher viel kleineren – früheren Elternhaus ihres Angetrauten zu wohnen. Das allerdings nur so lange, wie sie Witwe blieb. Doch dazu sollte es gar nicht kommen. Nach acht Jahren Ehe wurde Catharina 1831 so krank, dass der Notar ins Haus gerufen wurde. Die junge Frau, „krank an Körper aber gesund an Sinnen und Verstandeskräften“, ließ ihn niederschreiben: „Auf den Fall ich vor meinem Ehemann Heinrich Glück versterben sollte, schencke ich demselben alles bewegliche und unbewegliche Gut ohne Ausnahme, was wir miteinander in der Ehe errungen haben und sich am Tage meines Ablebens vorfinden wird, zum Eigenthum, um solches nach meinem Ableben sogleich in Genuss und Besitz zu nehmen.“ Bald darauf starb sie. Lediglich 14 Morgen Feld und 700 Gulden, die sie mit in die Ehe mitgebracht hatte, gingen zurück an ihre Brüder.
Knapp ein Jahr später wurde das nächste Aufgebot bestellt: Catharina Barbara Müller hieß die Auserkorene. Deren Vater, Johannes Müller, verteilte in Jahr nach der Hochzeit seiner Tochter seinen Besitz an seine fünf Kinder, wobei Catharina neben Land „wergene Leintücher“, Tischtücher, sieben Kilo neuen Faden, Vieh im Wert von 90 Gulden, Bargeld in Höhe von 77 Gulden, einen Bauchzuber, ein Schweinetrögchen, eine Bettlade aus Kiefernholz und eine Schnappwaage erhielt. Der Vater sicherte sich aber gleichzeitig auch seine Altersversorgung. So verlangte er von jedem der Kinder jährlich 125 Liter Weizen, eben so viel Korn, 90 Liter Most, „wenn der Herbst geräth, bei einem Fallherbste aber 4 Gulden“, 5 Kilo Dörr-Schweinefleisch, „namentlich vom Hinterschinken“, 3 Kilo frische Butter, zehn gute Handkäse, einen Korb Kartoffeln, 5 Gulden Bargeld, ein Ster Buchenbrennholz und einen Liter Brennöl sowie Versorgung und Pflege im Krankheitsfall.
Noch im gleichen Jahr, wenig mehr als ein Jahr nach der Eheschließung, starb Catharina, die neue Ehefrau Glück, im Kindbett. Der gerade geborene Säugling Friedrich Ludwig Glück überlebte seine Mutter nur kurz. Heinrich Glück und sein Schwiegervater sahen sich vor dem Frankenthaler Landgericht wieder. Sie stritten um das Erbteil, das die Verstorbene von ihrem Vater erhalten hatte. Der Anwalt Heinrich Glücks argumentierte, dass „indem die Tochter des Klägers … nicht ohne Descendenz verstarb vielmehr ein Kind hinterließ, welches sie beerbte. Welches dann ebenfalls mit dem Tod abging, dass demnach die Hinterlassenschaft dieses Kindes seinem Vater u. Bruder zutheil“ werde. Nach dem damals herrschenden Code Napoléon muss Heinrich Glück der Erbe gewesen sein.
Drei Ehen hatten Heinrich Glück – neben seinem guten Sinn für Geschäfte – zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Hatte er 1823 noch mit zwei Ochsen gepflügt, verrichtete er diese Arbeit neun Jahre später mit zwei Pferden. 1836 besaß er die erkleckliche Menge von 899 Morgen Land. Er streckte Leuten, die bei Erbteilungen oder für Auswanderungen Geld benötigten, dieses Geld auf längere Zeit vor. Und er verlieh Geld. Bei der besagten Inventur von1823 beispielsweise hatte er allein bei 27 Meckenheimer Bürgern Ausstände in Höhe von 3660 Gulden zu einem Zinssatz zwischen den üblichen fünf und zehn Prozent.
Heinrich Glück starb 1880 im hohen Alter von 96 Jahren. Neben den Urkunden und seinem Besitz hinterließ er mit Ludwig Glück, dem zweiten seiner vier Kinder, einen ebenso geschäftstüchtigen Mann, wie er selbst es gewesen war.
Text: Hildegard Janssen-Müller